Liebe enie,
ich muss krimi Recht geben. Du bist noch jung und glaubst wir etwas älteren, hätten schon viel gehabt vom Leben und sollten zufriedener sein. Aber das ist eben nicht immer so, oder oft nicht so. Ich habe mit 23 geheiratet, da war mein Schwiegervater schon ein Pflegefall.
Da ich jung war, war ich mir der Verantwortung und der Belastung nicht bewusst. Meine Schwiegermutter war damals schon (in meinen Augen) alt (70 Jahre), sie konnte damals ihren Mann noch tagsüber bändigen, ich bin immer Vollzeit arbeiten gegangen. Aber Abends und Nachts war so eine Randale bei uns im Haus, dass mein Mann und ich immer sprungbereit sein mussten.
Das wurde von Jahr zu Jahr schlimmer, der Stress war echt überdimensional. Keine Nacht ausreichend Schlaf, immer in der Nähe sein, damit er nicht die Bude anzündet, dauernd Windeln wechseln. Ich könnte Geschichten erzählen, die kein Mensch glauben würde. Aber ihn in ein Heim geben, kam weder für meine Schwiegermutter, noch für meinen Mann, und auch für mich nicht in Frage. Heute sehe ich das etwas anders. Also habe ich bei meinen ersten beiden Schwangerschaften die Kinder erst mal verloren. Bei der dritten, habe ich ab der 5. Woche gelegen, was nur ging weil meine eigene Mutter geholfen hat, die ja eigentlich nichts mit der Pflege meiner Schwies zu tun gehabt hätte, aber sonst hätte ich das Kind auch noch verloren. Man hilft sich eben in der Familie.Ich habe dann nach dem ersten Kind 3 Jahre später noch ein weiteres bekommen, wieder von Anfang an gelegen. Ging natürlich auch nur durch die intensive Mithilfe meiner Mutter. Das mit Schwiegervater ging ungefähr so 13 Jahre lang, bis er gestorben ist. Übergangslos wurde meine Schwiegermutter zum Pflegefall, es gab wieder weder Urlaub noch sonstiges für unsere kleine Familie, Freunde hatten wir so gut wie keine mehr. Wie auch, wenn man nirgendwo mit hingehen kann. Sie starb dann mit 95 Jahren 2010. 2011 habe ich den HT bekommen.
Ich will hier wirklich nicht rumjammern. Bin sogar stolz, das ich die ganzen Jahre durchgehalten habe und dabei immer noch arbeiten gegangen bin. Konnte mir das auch gut einteilen, da ich in der Firma meines Bruders das Büro geführt habe. Bin dann oft abends, wenn mein Mann da war ein paar Stunden ins Büro gegangen, das immer einer im Haus war bei Schwiegermutter. Hätte ich nicht die enorme Unterstützung meines Mannes und meiner damals 20jährigen Tochter und 17jährigen Sohnes gehabt, hätte das aber alles nicht geklappt. Das ist nun mal Familie.
Ich weiß heute, dass ich alles richtig gemacht habe, dass ich die alten Leute nicht im Stich gelassen habe. Jetzt würde es nicht mehr gehen. Jetzt könnte ich nicht mal mehr für meine geliebte Mutter sorgen, die zum Glück noch ziemlich fit ist für ihr Alter.
Glaub mir, ich hätte mir auch einen leichteren Weg gewünscht, aber es sollte so sein und deshalb muss man ihn auch annehmen. In unserem Dorf, wo jeder jeden kennt, hat schon so mancher gesagt: Das hast du wirklich nicht verdient.
Aber es hat keiner verdient eine solche Krankheit zu bekommen, egal was er gemacht oder nicht gemacht hat.
Ich lebe nach dem Motto, es geht immer irgendwie weiter. Und wenn man positiv denkt, lebt es sich viel leichter.
Keiner weiß was ihn noch erwartet. Aber hinsetzen und jammern bringt garnichts. Ich bin ein glücklicher Mensch, weil ich meine Familie liebe und auch von ihnen geliebt werde. Ich bin so froh, dass ich diese schlimme Krankheit habe und nicht einer von meinen Lieben. Das ich es habe, damit kann ich umgehen, aber wenn mein Mann, meine Kinder, oder meine Mutter es hätte, würde ich durchdrehen.
Entschuldigung, wenn ich euch mit meinem Leben zugetextet habe, aber ich will damit nur sagen, dass man bei allem was einem im Leben widerfahren kann, trotzdem ein glückliches und zufriedenes Leben führen kann.
Ich schaue nicht mehr zurück, sondern nur noch nach vorne. Was geschehen ist, ist vorbei, und was noch kommt, werde ich so annehmen wie es ist.
LG
Silvia